Ängste gehören zum Menschsein dazu. Soviel ist schonmal klar. Aber wie groß darf eine Angst sein, um noch in den Bereich der Norm zu gehören? Das ist vermutlich auch unterschiedlich. Es gibt ängstlichere und weniger ängstliche Menschen. Und dann gibt es noch die generalisierte Angsterkrankung, in der die Ängste überhand nehmen. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte zwanzig(!) Jahre lang Panikattacken. Manchmal sechs bis acht am Tag mit jeweils einem Blutdruck weit über 200. Ich hatte damals sogar das Gefühl, dass ich – sollte ich jemals einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden – es nicht von einer Panikattacke unterscheiden könnte. Manchmal überkamen sie mich schon morgens in der Früh, ganz ohne äußeren Anlass. Manchmal erst gegen Mittag – das waren die guten Tage. Und als sie begannen, mich auch noch nachts zu überfallen, dachte ich mir, dass nun Schluss sein müsse.
Mein Weg aus den Panikattacken
Ich hatte alles Mögliche probiert. Mein Leben verlangsamt, Aufregungen vermieden, jegliche Therapie, die es so auf dem Markt gibt…es half alles nur kurzfristig. Manchmal hatte ich dadurch Tage, die frei waren von Attacken. Selten sogar mehrere Tage bis hin zu Wochen. Dann dachte ich sogar, dass ich es überwunden hätte. Aber weit gefehlt. Es war, als würden die verdammten Panikattacken nur Pause machen, um mich dann umso heftiger zu überfallen. Panikattacken machen auch einsam, da niemand verstehen kann, wie es einem damit geht, der es nicht selbst kennt. In meiner Familie kannte es niemand, mit anderen Menschen sprach ich oft nicht darüber, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich darüber spreche, explodiert es gänzlich. Also versuchte ich, ein soweit normales Leben zu führen, wie nur irgendwie möglich. Bei nicht so schlimmen Attacken half mir Bewegung. Ich mähte dann mit letzter Kraft den Rasen oder ging wie von der Tarantel gestochen ums Haus herum – immer wieder – eine Runde nach der anderen. Manchmal konnte ich danach vor Erschöpfung einschlafen. Am schlimmsten war es, wenn sie unterwegs auftauchten. Eine Zeit lang konnte ich keine Autobahn mehr fahren, weil einmal auf der Autobahn eine Attacke aufgetreten war und ich danach im Kreislauf der Angst vor der Angst steckte. Doch ich wusste, dass ich – wenn ich begann zu vermeiden – nur noch tiefer in den Sumpf hineingezogen werden würde. Die Nächte waren frei von Panik. Das war die Zeit in der mein Körper die Unmengen an Adrenalin und Cortisol wieder abbauen konnte. Bis es eines Tages auch nachts begann. Ich wachte mit Herzrasen und furchtbarer Angst auf.
Panikattacken in der Nacht
In der Nacht sind Panikattacken doppelt so schlimm, fand ich zumindest. Das Herz raste, alles schlief und ich saß im Bett und wusste weder aus noch ein. Sollte ich meinen Mann wecken? Ging es nun mit mir zu Ende? Und als dies das zweite oder dritte Mal vorkam fasste ich einen Entschluss: Wenn dies nun mein Leben war, geplagt von diesen Zuständen, dann wollte ich nicht mehr leben. Als die nächste Panikattacke kam, schrie ich sie im Geiste an. Ich sagte ihr, dass ich nun bereit sei, abzutreten. Lieber sterben als so weiterleben. Ich betrachtete die Panikattacke erstmals nicht als einen Teil von mir, sondern als etwas, das gekommen war, um mich zu quälen. Und ich erinnere mich gut. Ich saß im Bett und das erste Mal übernahm die Wut das Ruder. Ich hatte keine Lust mehr. Es war kein Leben! Ich schrie sie an. Sagte ihr, dass nun genug sei, dass sie gewonnen hatte und dass ich nun gehen wolle. Sie solle mich haben. Dann wäre endlich Ruhe. Und dann geschah etwas Seltsames. Die Panikattacke reagierte irritiert und zog sich zurück. Ich saß im Bett und konnte es kaum glauben. Wollte sie mich täuschen? Gönnte sie mir einen kurzen Moment der Erholung um dann erneut zuzuschlagen. Mein Herz begann sich zu beruhigen. Meine Hände hörten auf zu zittern. Neben mir atmete mein Mann. Er hatte nicht mitbekommen, welcher Kampf gerade neben ihm stattgefunden hatte. Eine Zeit lang saß ich noch im Bett und wartete. Aber nichts geschah. Nach zwanzig Jahren kannte ich meine Panikattacken. So etwas hatte es noch nie gegeben. Normalerweise folgte sie einem klaren Rhythmus. Sie kommt, steigert sich, verharrt ungefähr zwanzig Minuten auf ihrem Höhepunkt und flacht dann ab. Oftmals spürte ich dabei schon das Grummeln der nächsten. Doch dieses Mal war es anders. Sie hatte sich zurückgezogen, noch bevor sie ihr übliches Plateau erreicht hatte. Immer noch misstrauisch legte ich mich hin und schlief nach einer Weile sogar ein. Der nächste Tag war frei von jeglichen Attacken und die nächsten Tage auch. Ich begann Hoffnung zu schöpfen. Sollte es das gewesen sein? Aber ich vertraute nicht. Und eines Nachts war es dann wieder soweit. Ich wiederholte die Übung. Nur, dass ich dieses Mal gar nicht so wütend war. Ich spürte das Rasen meines Herzens und sagte innerlich zu ihr: “Ich kenne dich schon. Aber ich will dich nicht mehr. Du machst mir auch keine Angst mehr. Hau ab!” Und tatsächlich flachte die Panikattacke ab. Das war vor ungefähr zehn Jahren. Bis heute ist sie nicht zurückgekommen. Nur einmal noch – wobei da der Unfall meines Sohnes vorausgegangen war und ich wusste, dass ich in diesem Moment diese traumatische Erfahrung verarbeitete. Das war das Ende einer Jahrzehnte langen Panik-Karriere.
Meine Rückschlüsse aus der Erfahrung
- Panikattacken sind Wesenheiten – heute weiß ich, dass ich es mit einer Wesenheit zu tun hatte, die eigentlich nur darauf gewartet hatte, dass ich mich ihr mutig stelle, anstatt immer nur davon zu laufen. Sie wollte mich herausfordern.
- Panikattacken sind Todesängste – das Ende meiner Panikattacken war das Akzeptieren des eigenen Todes. Es war mir ja schon Jahrzehnte lang bewusst, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, aber ganz offensichtlich waren Theorie und Praxis noch nicht zusammengewachsen. Erst als ich mir dachte, dass es auf jeden Fall besser war, in der geistigen Welt weiterzuleben, als mich noch länger quälen zu lassen, konnten sie verschwinden. Ich hatte die Todesangst überwunden.
- Panikattacken sind Lehrmeister – und zwar verdammt strenge. Sie helfen uns, über uns hinauszuwachsen. Aber sie sind gnadenlos. Da gibts kein Verhandeln oder Verschieben. Sie kommen und beuteln uns durch. Und dies so lange, bis wir endlich erkennen, wer oder was wir wirklich sind.
- Medikamente helfen in Krisenmomenten, sind aber definitiv keine Lösung. Sie machen uns nur schwächer. Ich habe in den zwanzig Jahren ein paar Mal Medikamente genommen – aber danach ging es mir noch viel schlechter. Sie können aber für viele Menschen auch hilfreich sein. Für mich waren sie es nicht.
- Wie in vielen anderen Zusammenhängen hilft bei Ängsten nur die Flucht nach vorne. Vermeidungsverhalten macht das Gefängnis nur noch enger.
Seit ich meine Panikattacken überwunden habe, ist mein Leben viel freier. Ich bin mir deutlich mehr meiner Kraft und meines Ichs bewusst und ich weiß, dass ich, wenn ich so einen übermächtigen Gegner bezwungen habe, ich jeden anderen Gegner oder Widersacher ebenso bezwingen kann.
In diesem Sinne wünsche ich Euch einen wunderschönen Sonntag!
Manou Gardner Medium aka Manuela Pusker
Bild von Grae Dickason auf Pixabay