Oben schauen, unten lesen 🙂
Indessen wachte Sophie auf. Um sie herum war alles still. Sie stand auf und ging zum Fenster. Draußen sah sie Häuser und Gärten und die Gegend war ein klein wenig hügelig. Warum fühlte sie sich so fremd? Sie sah an sich herunter. Sie trug einen Schlafanzug im Weihnachtsdesign. Ihre Füße waren nackt und sie stand auf einem flauschigen Teppich. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers und sah direkt vor sich eine kleine schmale Treppe. Auch diese war mit flauschigem Teppich belegt. Unten befand sich eine Küche, aber sie war ganz offensichtlich alleine. Langsam ging sie durch das Haus. Was war nur mit ihr los? Sie fühlte sich hier völlig fremd. In der Garderobe hingen eine Menge Jacken. Ein paar davon schienen ihr zu gehören und daneben hingen Damen- und Herrenjacken. Sie trat vor die Tür. Es war kalt und regnete. Vor der Tür war ein kleiner Vorgarten. Das Haus, in dem sie offenbar wohnte war aus roten Klinkersteinen und rechts und links waren noch viele, gleich aussehende Häuser. Sophie nahm sich vor, einen Spaziergang zu machen. Aber zunächst musste sie etwas Wärmeres anziehen.
Sie ging zurück in das Zimmer, in dem sie aufgewacht war. An der Schranktür hing eine Uniform mit Rock, Bluse, Pullunder und Jacke. Diese schien ihr zu gehören. Aber wozu brauchte sie die? Sie entschloss sich, den Schrank zu öffnen und etwas Anderes anzuziehen. Im Schrank war eine Menge schöner Kleidung und sie betrachtete sie eine Weile versonnen. Warum konnte sie sich an all das nicht erinnern? Aber sie hatte schon das Gefühl, hier zuhause zu sein. Es war seltsam. Sie würde jetzt einfach einmal die Umgebung erkunden und unter Umständen würde ihre Erinnerung dann wieder zurückkommen. Am besten würde sie bis zum Ortsende gehen, damit sie wüsste, wie der Ort heißt, in dem sie gerade war. Nachdenklich kratzte sie sich am Kopf. Was sie am meisten wunderte war, dass sie einerseits nicht wusste wo und wer sie war, aber dabei keine Angst verspürte. Musste man in so einem Moment nicht völlig außer sich geraten? Es war etwas in ihr drin, das sie beruhigte. Als müsste sie sich nur ein wenig orientieren und dann würde sich alles richtig zusammenfügen. Achselzuckend zog sie sich an und suchte nach einem Schlüssel, damit sie nachher wieder ins Haus konnte.
Sophie ging die Straßen entlang. Sie kam an einem Wirtshaus vorbei, das sich „The Queens Head“ nannte. Die Autos fuhren auf der linken Straßenseite, sie war also in England. Langsam ging sie weiter. Die Straße gabelte sich und sie ging links entlang, wo die Straße ein wenig anstieg. Neugierig schaute sie in die Gärten. Es gab außer den roten Klinkerhäusern auch noch Fachwerkhäuser. Der Ort wirkte sehr malerisch. Nach einem längeren Fußweg kam sie endlich zu einem Ortschild. „Mountfitchet“ stand auf dem Schild. Immerhin wusste sie nun, wo sie wohnte. Auf dem Rückweg kam sie wieder an einem Haus vorbei, das schon vorher ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte. Neben dem Haus war eine Art Tor und danach kam ein Feldweg. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, ging sie diesen Feldweg entlang. Er führte durch Felder, Wiesen und Wald hindurch und nach einiger Zeit stand sie vor einem riesengroßen Herrenhaus. Sie ging vorsichtig näher. „Stansted Hall“ stand neben dem Haupteingang. Sie nahm sich vor, dieses geheimnisvolle Haus zu einem späteren Zeitpunkt genauer unter die Lupe zu nehmen, aber jetzt war ihr kalt. Sie musste zurück. Der leichte, eiskalte Nieselregen hatte sie mittlerweile durchnässt bis auf die Haut. Sie war auch schon sehr lange unterwegs.
Als sie zurückkam, war immer noch niemand zuhause. Sie entschloss sich, den Pyjama wieder anzuziehen und sich im Bett aufzuwärmen. Im Bett grübelte sie noch eine Weile, schlief dann aber erschöpft wieder ein.
Als Sophie das nächste Mal aufwachte, stand eine Frau in ihrem Zimmer. „Was ist los mit dir? Warum bist du nicht in der Schule? Bist du krank?“ Die Frau schaute sie besorgt an. „Ja, ich fühle mich nicht gut, deshalb bin ich zuhause geblieben“, sagte Sophie und erkannte, dass die Uniform an ihrem Schrank offenbar ihre Schuluniform war. Und die Frau musste ihre Mutter sein. Sophie fühlte sich sofort zu ihr hingezogen. „Hast du Hunger? Ich mache gleich etwas zu essen“, sagte die Mutter. Sophie nickte. Ja, Hunger hatte sie schon. Sie schlief tatsächlich noch einmal ein, was die Geschichte, dass sie krank war, umso glaubhafter machte. Sie fühlte sich auch völlig erschöpft. Alles war surreal und seltsam.
Martin, Hannes und Klara saßen indessen im Sender und hingen ihren Gedanken nach. Wie es wohl Theo, Luisa und den anderen Engeln gehen mochte. „Wie ist das eigentlich, wenn die Engel als eine andere Person aufwachen? Wissen sie dann sofort wer sie sind?“, fragte Hannes, der immer sehr praktisch dachte. Phanuel schüttelte den Kopf. „Nein, es dauert ein paar Tage. Aber wir spielen ihnen in der Nacht immer Erinnerungen aus dem neuen Leben in ihr Unterbewusstsein, sodass sie nur einige Tage ein wenig desorientiert sein werden. Es fühlt sich für sie an, als wären sie ein wenig krank und hätten Mühe, sich an alles zu erinnern. Aber es wird von Tag zu Tag besser. „Wisst ihr, wo sie jetzt alle sind?“, fragte Klara. „Könnt ihr auf sie aufpassen?“ „Ja, wir wissen wo sie sind und wir haben ein Auge auf sie. Aber wir haben dafür gesorgt, dass sie alle in gute Familien kommen. Sie werden sich dort eingewöhnen und dann damit beginnen, ihre Aufgaben zu erfüllen“, sagte Michael.
Für Hannes, Klara und Martin war es nun etwas seltsam. Sie merkten erst jetzt, welch wichtige Rolle Theo und Luisa für sie gehabt hatten. Sie trauerten und vermissten die beiden sehr. Aber die Arbeit wurde immer mehr. Im Sender liefen immer noch eine Menge Ideen zusammen und mittlerweile waren sie ein riesiges Team, das all die Informationen auswertete und koordinierte. Das war kein kleines Unterfangen mehr.
„Woran merken wir eigentlich, dass diese Arbeit hier wirklich nützlich ist und sich positiv auf den Weg der ganzen Menschheit auswirkt?“, fragte Martin. Gabriel dachte eine Weile nach. „Hier auf der Erde merkt man es nicht so schnell. Hier merkt man zunächst einmal nur, dass eine Menge Menschen beginnen, aus freien Stücken zusammenzuarbeiten. Aber wir können aus der Engelwelt heraus erkennen, in welchem Maß sich die Energie auf der Erde anhebt. Und das ist derzeit schon wirklich gewaltig, aber es braucht noch viel mehr. Die dunklen Mächte haben ganze Arbeit geleistet und die Senkung der Energie seit Langem vorbereitet. Es muss noch sehr viel geschehen, damit die Menschen das ganz abwenden können. Aber die Richtung stimmt. Und zunächst ist es wichtig, die derzeitige Entwicklung zu stoppen. Wenn wir jetzt nicht eingreifen und die Menschen unterstützen würden, würden sie nicht merken, wie sie offenen Auges in eine Katastrophe laufen. Wenn wir die akute Gefahr gebannt haben, dann geht es darum, dass wir langfristig mithelfen, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Und daran werden die zwölf Engel arbeiten.“
Klara, Hannes und Martin hörten gebannt zu. „Glaubst du, dass noch wirklich schwere Zeiten auf uns zukommen werden? Es klingt so ernst, wie du das sagst“, fragte Hannes. „Ja, das glaube ich. Veränderungen und Umbrüche führen immer zuerst ins Chaos. Natürlich können wir nicht genau sagen, was in der nächsten Zeit passieren wird, aber es ist gut, wenn wir uns schon einmal darauf einstellen, dass wir unter Umständen noch mit ernsten Schwierigkeiten rechnen müssen. Es hängt sehr viel von euch Menschen ab – und zwar auch von der Energie der nächsten Tage.“
„Aber war es da nicht ein Fehler, die Engel alle in Menschen zu verwandeln?“, fragte Klara. „Als Menschen können sie doch gar nicht so viel ausrichten.“ Phanuel schüttelte den Kopf. „Unsere Strategie muss nun in alle Richtungen gehen. Was wir hier im Sender und mit den Menschen auf die Beine stellen ist die kurzfristige Strategie, um die derzeit geplante Machtübernahme abzuwenden. Das was die zwölf Engel nun tun werden, ist die mittelfristige Strategie und dann gibt es noch eine langfristige Strategie, über die zu sprechen, mir noch nicht erlaubt ist.“
„Wir haben nur noch wenige Tage bis Weihnachten und es gibt noch eine Menge zu tun. Wenn die Widersacher zuschlagen wollen, werden sie es nach dem 24.12. tun. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich möchte, dass wir heute schauen, dass wir unser Team hier so gut einschulen, dass wir acht, also ihr drei Menschen und wir fünf Erzengel ab morgen noch eine weitere Richtung verfolgen können. Dazu brauchen wir Zeit und die haben wir nicht, wenn wir uns hier um alles kümmern müssen. Wir suchen heute für alle Bereiche fähige Menschen aus dem Team heraus, die ab morgen die Leitung übernehmen“, sagte Gabriel.
Hannes bemerkte, dass die Erzengel heute ernster waren als zuvor. Es schien sich etwas zusammenzubrauen, worüber sie heute noch nicht sprechen wollten. Die Stimmung hatte sich verändert und das lag nicht nur daran, dass die Engel nun nicht mehr hier waren.
Und wie es weitergeht, erfahrt ihr morgen.
Ich wünsche Euch eine gute Nacht und gute Träume
Manou