Eine Engelbegegnung

Diese spontane Engelbegegnung erlebte ich im Jahr 1997. Sie war eine der berührendsten Erfahrungen, die ich jemals gemacht habe.

Die Vorgeschichte

Ich war im Herbst 1996 alleine mit meinen beiden Kindern im Teenageralter von Deutschland nach Wien gezogen. Zunächst fühlte sich diese Entscheidung gut an. Wir hatten zuerst ein Übergangsquartier in einem Kleingartenhaus im dreizehnten Wiener Gemeindebezirk. Solange war die Welt halbwegs in Ordnung. Ich war zwar einsam, vermisste meine Freunde aus Deutschland sehr, doch mein neuer Job in der Radiologie, Haushalt und Kinder beschäftigten mich so sehr, dass ich kaum zum Nachdenken kam.

Wir mussten aus dem Haus ausziehen

Doch dann kam der Frühling 1997 und anders als erwartet, sollten wir diesen nicht in der Kleingartensiedlung erleben. Ich hatte mich den ganzen Winter darauf gefreut, dass wir im Sommer auf der Terrasse und im Garten sitzen würden, doch der Besitzer verlangte sehr plötzlich, dass wir ausziehen sollten. Somit begann eine hektische Suche nach einer Bleibe. Ich schaute mir Wohnungen in ganz Wien an. Eine war schrecklicher als die andere. Und die, die einigermaßen schön waren, konnten wir uns nicht leisten.

Spät am Abend rief der Makler an

Der Makler, den ich mit der Suche beauftragt hatte, war mit mir schon ein wenig verzweifelt. Ich hatte Ansprüche, die ich mir aber nicht leisten konnte. Das war ein Dilemma. Außerdem musste ich so schnell wie möglich aus meiner bisherigen Bleibe hinaus. Der Besitzer machte täglich Druck. Und eines Tages rief mich der Makler abends gegen halb neun Uhr an und sagte, dass er vermutlich eine passende Wohnung für mich hätte. Allerdings müsste ich diese sofort besichtigen, weil es bereits einen Interessenten gab. So machte ich mich ziemlich bald nach diesem Telefonat auf den Weg. Wir trafen uns kurz nach zehn Uhr am Abend vor der Wohnung im zwölften Bezirk. Von außen sah das Haus ganz passabel aus. Die Wohnung war erstaunlich geräumig mit Küche, Bad, zusätzlichem WC, zwei recht großen Zimmern und einem Wohnzimmer. Und dazu war sie gerade noch leistbar für mich. Was für ein Glücksfall!

Die Wohnung war sogar möbliert

Obwohl eigentlich ein Zimmer fehlte, entschloss ich mich, dass ich im Wohnzimmer schlafen würde. Dadurch würde jedes Kind ein eigenes Zimmer haben. Ein Glück war auch, dass die Küche vollständig eingerichtet war, alle Elektrogeräte waren vorhanden. Die Wohnung war sogar vollständig möbliert, was mir, die ich weder Möbel noch Geld hatte, wie eine willkommene Gelegenheit erschien. Ich würde schon etwas Hübsches daraus machen, dachte ich mir. Hinzu kam, dass sie praktisch sofort beziehbar war.

Der Tag des Umzugs

Wenige Tage später übergab mir der Makler die Schlüssel. Wir hatten ja nicht viel zu packen. Waren wir ja nur mit ein paar Kleidungsstücken und sonst nicht viel nach Wien gekommen. Die paar Dinge luden wir ins Auto einer Schulmutter, die sich bereit erklärt hatte, mir zu helfen und fuhren in die neue Wohnung.

Ich dachte mich trifft der Schlag

Als wir in der Wohnung ankamen, es war ungefähr um die Mittagszeit, traf mich fast der Schlag. Kein Wunder, dass ich diese Wohnung am Abend besichtigen musste. Sie war stockdunkel und alle Fenster waren mit Gittern versehen. Die Wohnung, die bei der nächtlichen Besichtigung ganz passabel ausgesehen hatte, stellte sich als ein mit Chippendale Stilmöbel versehenes Gefängnis heraus. Es gab nicht ein einziges unvergittertes Fenster. Und die eine Hälfte der Wohnung schaute in einen stockdunklen Innenhof. Die andere Hälfte schaute auf den Garten des Nachbarhauses, doch trennten uns davon massive Eisengitter. Mir fielen fast die Kisten aus der Hand. Wir teilten die Räume auf und ich sagte den Kindern, dass sie nur das Notwendigste auspacken sollten. Wir würden hier ganz bestimmt nicht bleiben.

Die Suche ging weiter

Also suchte ich weiter. Dieses Mal mit einem anderen Makler. Doch es war offensichtlich in ganz Wien nichts Besseres aufzutreiben. Sowohl die Kinder, als auch ich, wurden in dieser Wohnung von Tag zu Tag depressiver. Die Energie war unerträglich und es passierten andauernd schreckliche Dinge. Es war klar, wir mussten so schnell wie möglich da weg. Doch wohin sollten wir gehen?

Der Tag der absoluten Verzweiflung

Es war an einem Sonntagnachmittag. Die Kinder waren bei Schulfreunden eingeladen. Ich war alleine zuhause. Draußen war es sonnig, doch davon war in der Wohnung nichts zu bemerken. Ich lag im Wohnzimmer auf meinem improvisierten Matratzenlager mit dem Gesicht zur Wand und fragte mich zum wiederholten Male, ob die Entscheidung, mein ganzes bisheriges Leben in Deutschland aufzugeben und nach Wien zu gehen, nicht einfach ein vollkommener Irrsinn gewesen war. Im Krankenhaus, in dem ich arbeitete, war es auch gerade nicht so rosig. Als Deutsche eckte ich immer wieder an mit meiner direkten Art, und die Wohnsituation war unerträglich. Außerdem war ich finanziell am Ende, wusste nicht, wie ich eine weitere Maklerprovision bezahlen sollte und kannte niemanden, der mir mal Trost gespendet hätte. Ich hatte bis dahin keinerlei soziale Kontakte, die über lose Bekanntschaften hinaus gingen.

Ich wollte aufgeben

An diesem Nachmittag wollte ich aufgeben. Ich lag auf dem Bett und starrte die Wand an. Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung und fand einfach keine. Meine Lage war aussichtslos. Ich hasste diese Wohnung und auch die ganze Umgebung so sehr. Ich hatte das Gefühl, mit meinem Entschluss auf ganzer Linie versagt, ja alles in meinem Leben falsch gemacht zu haben.

Plötzlich wurde es hell im Raum

Als ich so lag, wurde es in dem Raum, in dem man auch bei Tag die Lampen brennen lassen musste, ganz hell. Ich hatte keine Lampe an, lag eigentlich im düsteren Zimmer. Das Licht schien aus den Wänden zu kommen. Ich lag ganz still und wunderte mich, dass ich zwar das Gesicht zur Wand gedreht hatte, aber den ganzen Raum sehen konnte. Noch mehr wunderte es mich plötzlich, dass ich mich selbst von hinten dort liegen sah. Und als ich dies realisierte, umfing mich eine unglaubliche Welle von Wärme und Liebe. Wo vorher Dunkelheit, Verzweiflung und Einsamkeit war, war plötzlich Liebe und Geborgenheit.

Ich wusste plötzlich, dass dies mein Engel war

Plötzlich fühlte ich wie Schwingen um meinen Körper, fühlte mich umarmt und regelrecht gewiegt. Es war ein wunderschönes Gefühl. Alles wurde licht und leicht. Meine ganze Verzweiflung, meine Angst, meine Selbstvorwürfe, alles wich diesem unendlich lichten Gefühl. Ich habe keine Ahnung, wie lange dieses Gefühl anhielt, doch es durchflutete mich vollständig. Zuversicht begann in mir zu wachsen. Mir fielen Geschichten von anderen Menschen über Engelbegnungen ein und ich wusste, dass mir dies nun selbst auch widerfahren war.

Wenige Tage später

Wenige Tage nach diesem Erlebnis bot mir ein entfernter Bekannter an, sein kleines Haus im dreizehnten Bezirk zu mieten. Mit einem wunderschönen Garten, direkt am Rand des Hörndlwaldes. Und das Beste war, er wollte genau so viel Miete, wie ich für die Wohnung bezahlte. Da es sein Haus war, fielen auch keine Maklerkosten an. Nach dieser Engelbegnung hatte das Leben uns wieder. Wir mussten uns noch ein paar Wochen gedulden, doch mit der Aussicht auf das Haus war es auszuhalten. Damit begann ein neuer Abschnitt in unserem Leben, der nicht weniger abenteuerlich, aber wesentlich lustiger werden sollte.

Meinem Engel werde ich auf alle Ewigkeiten dankbar sein!

Manou

Bild von Alessio auf Pixabay

6 Antworten zu „Eine Engelbegegnung“

  1. Avatar von Heike
    Heike

    Ja, das Haus am Hörndlwald!!! Das war einfach toll. Der eine Baum an dem eine Schaukel oder eine Hängematte war, der war auch ganz besonders. Und die vielen Leute, die man beim Hundegassi traf….
    Ja, da passte damals zu Dir.
    Ich denke gerade ganz fest daran.

    1. Avatar von Manuela Pusker

      Dankeschön, liebe Heike. Ja, Du bist eine der wenigen, die das Haus noch kannten ❤️🙏❤️

  2. Avatar von Petra
    Petra

    Sehr berührend deine Begegnung mit deinem Engel liebe Manou.
    Ich weiß nicht, wie es mit dem Haus weiterging, aber sicherlich um ein Vielfaches besser, als in dem Gefängnishaus.❤️

    1. Avatar von Manuela Pusker

      Wir waren dort zwei schöne Jahre lang und danach war ich in der Lage, ein Haus zu kaufen 😍🙏😍

  3. Avatar von
    Anonymous

    Liebe Manou , ich lese alle deine Geschichten und freue mich auf den nächsten Tag. Ich finde du bist eine ganz wunderbare Geschichten Erzählerin und solltest mal ein Buch schreiben. Dein Wissen und deine Erfahrungen sind so schön zu lesen. Brigitte

    1. Avatar von Manuela Pusker

      Oh vielen Dank, liebe Brigitte…ja, am Buch bin ich schon dran ❤️🙏❤️

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