Linda sah erschrocken auf. Daran hatte sie ja noch gar nicht gedacht! Sie würden Unmengen von Eiern haben! „Und vor allen Dingen brauchen die Hühner Nester, wo sie ihre Eier hineinlegen können, sonst könnt ihr die im Stroh suchen“, sagte Beppo. „Am besten werden wir die Futtertröge im Stall zu Nestern umfunktionieren und können nur hoffen, dass die gefiederten Damen das auch verstehen.
Außerdem werden wir Stangen anbringen müssen. Hühner schlafen normalerweise auf Stangen. Aber das machen wir heute nicht mehr. Aber die Nester müssen wir machen“, fügte Beppo hinzu. Jonas und er schleppten nochmal eine Menge Stroh in den Stall und gemeinsam polsterten sie die langen Reihen der Futtertröge mit dem Stroh aus. Auf diese Weise schafften sie es, rund fünfzig Nester anzulegen. „Das sollte genügen“, sagte Beppo.
„Die legen ja nicht alle gleichzeitig. Ich hoffe nur, dass sie noch genügend Instinkt habe, dass sie die Nester auch nützen. In der Legebatterie legen sie ja einfach da, wo sie in dem Moment stehen. Haben ja auch keine andere Wahl.“
Linda beobachtete die Hühner, die alle total geschockt im Stall standen und leise Töne von sich gaben. Ein paar von ihnen scharrten bereits im Stroh. Dann öffneten sie die Tür ins Freie und schauten, was die völlig verstörten Hennen nun machen würden. Beppo und Herta setzten sich eine Weile zu ihnen, verabschiedeten sich dann aber, weil sie noch einmal schauen wollten, ob sie Bauer Alfred helfen konnten. „Übrigens werde ich ein paar Säcke Futter von Alfred holen. Die müssen ja was fressen“, rief er Linda noch zu. Linda nickte dankbar. Genau! Die Hühner brauchten ja was zu fressen.
Linda und die Kinder blieben bei den Hühnern und beobachteten sie einfach. „Werden die wieder schön werden und Federn bekommen?“, fragte Klara. „Ich glaube schon. Aber das wird vermutlich dauern“, sagte Linda. Immer wieder ging eines der Hühner zu der offenen Stalltür und schaute vorsichtig hinaus, aber bis jetzt hatte sich noch keine von ihnen getraut, auch nur einen Fuß ins Freie zu setzen. „Ich vermute mal, die brauchen noch Zeit. Wir sollten ihnen Wasser hinstellen“, sagte Jonas und suchte in der Scheune nach einem Gefäß. Er fand einen alten Zinkkübel, füllte ihn mit Wasser und stellte ihn vorsichtig gleich neben den Eingang. Linda schaute auf die Uhr.
„Du liebe Güte! Es ist fast 16 Uhr. Wir müssen ja noch planen, wie wir das morgen mit der Schule machen. Kommt, lassen wir die Damen hier ein wenig alleine, damit sie sich an die neue Umgebung gewöhnen können und besprechen wir mal die nächste Woche“, sagte sie und winkte beide Kinder mit sich ins Haus. „Ich glaube, ich brauche jetzt mal zuerst eine Dusche“, sagte Klara. „Das ist eine gute Idee. Duschen wir mal und treffen uns dann in der Küche zur Lagebesprechung“, sagte Linda. „Ich schmiere uns ein paar Brote. Wir werden heute vermutlich nicht mehr kochen“, fügte sie noch hinzu.
Gemeinsam saßen sie dann bald bei Broten und Tee in der Küche. „Ich kann euch die nächsten Wochen zur Schule fahren und abholen. Es sind noch sechs Wochen bis zu den Ferien. Das sollte zu schaffen sein“, sagte sie. Jonas dachte offensichtlich nach. Seine Stirn lag in Falten. Dann sagte er: „Am liebsten würde ich ja gleich hier in Heidetal in die Schule gehen. Geht das nicht?“ Linda sah zu Klara. Diese nickte begeistert. „Ja, das wäre mir auch am liebsten. Dann könnten wir einfach rundum ein ganz neues Leben beginnen. Auch wenn wir noch nicht zur Ruhe gekommen sind, gefällt mir dieses Leben hier so viel besser als unser früheres.“
Linda schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, das würde uns mehr Probleme bringen, als es nützt. Momentan muss euer Vater noch damit einverstanden sein, wenn ihr die Schule wechselt. Ich denke, wenn wir das jetzt überstürzen, kann er das später gegen uns, oder besser gesagt, gegen mich verwenden. Ich brauche da erst mal eine Rechtsberatung. So wie euer Vater gerade drauf ist, wird er alles, was er findet, zu seinen Gunsten ausschlachten.
Und ich fürchte, dass ich schon sehr angreifbar bin, weil ich euch einfach mitgenommen habe. Jonas ist schon vierzehn, der darf schon selbst bestimmen, wo er wohnen möchte, aber bei dir Klara, hätte er noch ein Wörtchen mitzureden. Allerdings würde vermutlich jede Familienrichterin auch deinen Wunsch berücksichtigen.
Aber ich möchte bitte, dass ihr bis zu den Ferien noch in die alte Schule geht, damit ich das alles sauber über die Bühne bringen kann.“ Jonas und Klara schauten etwas enttäuscht, sahen es aber ein. „Gut, dann fahren wir morgen um sieben Uhr hier los, dann sind wir pünktlich vor acht Uhr bei der Schule und dann hole ich euch um halb vier wieder ab. Ist das okay für euch?“ Die beiden nickten.
„Und jetzt sollten wir nochmal nach unseren neuen Familienmitgliedern draußen schauen. Vielleicht ist das Damenkränzchen schon vor die Tür gegangen.“ Linda und die Kinder gingen hinüber zum Stall. Und tatsächlich! Ein paar der Hennen waren schon draußen und scharrten und pickten im Gras.
Gemeinsam setzten sie sich auf den Boden und schauten den Hennen zu, wie sie noch unsicher durch das Gras stakten und ab und zu auch schon scharrten. „Verrückt, wenn man sich vorstellt, dass diese Tiere bisher niemals Tageslicht oder Sonnenschein erlebt haben und auch noch nie das getan haben, was Hühner eigentlich tun, nämlich picken, scharren und Würmer suchen. Das ist doch schrecklich, was wir Menschen mit den Tieren veranstalten“, sagte Klara. Linda nickte und dachte an die vielen Hennen, die heute im Stall bei Bauer Alfred bei lebendigem Leib verbrannt sind.
Eigentlich verdiente Alfred die Bezeichnung Bauer gar nicht. Er war ein Industrieller, einer der gegen Geld eine riesige Zahl an Tieren einfach so versklavte. „Ja, es ist schrecklich, was wir Menschen mit den Tieren machen. Und das nur, um billiges Fleisch und billige Milch und Eier zu erhalten“, sagte Linda. Jonas legte wieder seine Stirn in Falten. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir hier eine Menge Tiere halten, die wir aus solchen Umständen gerettet haben. Vielleicht können wir das auch irgendwie publik machen und den Einen oder Anderen zum Umdenken bewegen“, sagte er. „Wie unschuldig und hilflos diese Hühner sind und wie sie jetzt so vorsichtig durch das Gras gehen. Wie kann man nur so herzlos sein und sie behandeln als wären sie eine tote Ware, eine Produktionseinheit“, fügte Linda hinzu.
Die Hennen gaben leise, gurrende Geräusche von sich. Sie schienen ihr neues Leben zu genießen. Immer mehr von ihnen kamen vorsichtig aus dem Stall heraus und probierten aus, wie es war, wenn ihre Füße das Gras berührten. Es war ein wunderbarer Anblick. Linda, Jonas und Klara konnten sich daran einfach nicht satt sehen.
„Und jetzt stellt euch mal vor, was Papa zu dieser Aktion gesagt hätte“, grinste Jonas. Linda musste laut lachen und ein Teil der Hühner erschrak und flatterte im Reflex weg. Dann hielten sie inne und ahmten die Bewegung noch einmal nach. Ja, sie konnten ihre Flügel spreizen. Das schien auch eine ganz neue Erfahrung zu sein. In den engen Käfigen war ja kein Platz um die Flügel zu spreizen. Aber plötzlich ging es.
Eine von ihnen war offenbar besonders forsch und wiederholte diese Bewegung immer wieder und schritt dabei rasch durch den Auslauf. Ein paar weitere taten es ihr nach. „Schaut mal, wie schnell sie auch voneinander lernen!“, rief Klara.
In dem Moment fuhr Beppo wieder die Hofeinfahrt herein. Im Kofferraum hatte er mehrere Säcke Hühnerfutter. „Schau mal Beppo, wie die Damen ihren neuen Auslauf genießen!“, rief Klara begeistert. Beppo kam lächelnd auf sie zu und setzte sich ebenfalls zu ihnen ins Gras. „Ja, so sollen Hühner leben, nicht in einer Fabrik eingepfercht. Ich habe es Alfred schon oft gesagt, dass er sich an den Tieren versündigt. Aber er hat nur noch das Geld gesehen und hat mich ausgelacht, weil ich mir für so wenig Geld so viel Arbeit mache. Er hatte sogar Pläne, das Ganze noch viel größer zu machen. Er träumte davon, fünfzigtausend Hennen zu haben und einer der führenden Eierproduzenten der Region zu werden“, sagte Beppo und schüttelte dabei seinen ergrauten Kopf.
„Wir alle haben ihm gesagt, dass das nicht gut sei, aber er hat nicht auf uns gehört. Und heute ist es wohl zur Katastrophe gekommen. Er ist am Boden zerstört. Die Hühner waren seine ganze Existenzgrundlage. Er hat ja keine Felder mehr bestellt und auch sonst nichts mehr gemacht, nur noch die vielen Hühner.“ „Ist der ganze Stall abgebrannt?“, frage Linda. Beppo nickte traurig. „Ja, mit allen Tieren drin. Alfred sagt, es seien ungefähr zehntausend Hühner verbrannt.“ Bei diesen Worten traten sogar Beppo Tränen in die Augen und Klara schlug die Hände vors Gesicht. Jonas schluckte und war sichtlich bemüht, nicht zu weinen.
„Es ist wunderschön, dass ihr zumindest diesen paar geretteten Hennen ein schönes Leben macht. Ich werde euch dabei helfen. In ein paar Wochen werden sie auch nicht mehr aussehen, als ob sie bereits gerupft wären. Die Federn wachsen nach und wenn sie genügend Platz haben, dann picken sie sich auch nicht gegenseitig. Das tun sie nur aus Langeweile. Ich werde morgen noch mehr Maschendraht besorgen und dann werden wir den Auslauf ungefähr vier Mal so groß machen, wie er jetzt ist.
Platz habt ihr ja genug. Und den Stall müssen wir mit Stangen versehen und außerdem gehört er in ein paar Tagen ausgemistet und gekalkt. Der Kalk dient der Desinfektion. Und langsam werden wir damit beginnen, das Futter umzustellen. In diesem Dreck da, dabei zeigte er mit dem Kinn auf die Futtersäcke, die er mitgebracht hatte, ist ja nichts Gescheites drin außer einer Menge Medikamente und Chemie. Aber wir müssen das langsam machen. Heute und morgen bekommen sie noch das gewohnte Futter, damit es nicht zu viel Veränderung auf einmal ist, ab Dienstag mischen wir es und bis in zwei Wochen sollten wir das Chemie-Futter ausgeschlichen haben. Wenn du magst, Linda, werde ich mich darum kümmern.“
„Oh, das ist ganz lieb von dir Beppo! Bitte besorge alles was wir brauchen und sag mir dann einfach, was ich dir schuldig bin.“ „Ich habe eine bessere Idee. Ich besorge alles für den Anfang und das ist mein Anteil an der Sache, dafür bekomme ich meinen ganzen Bedarf an Eiern von dir“, sagte Beppo und lachte. „Ich glaube, davon werdet ihr in nächster Zeit genug haben. Ich werde auch mal die Werbetrommel rühren, vielleicht finden wir noch ein paar Abnehmer. Vor allen Dingen dann, wenn die Tiere gesund und nicht mehr mit Chemie vollgestopft sind.“ Linda nickte begeistert. Ja, dann werden wir die Eier so gut es geht verkaufen und verarbeiten.“
Morgen geht es dann weiter….mal sehen, welche Abenteuer noch auf Linda, Jonas und Klara warten.
Ich wünsche Euch einen wunderschönen Sonntag und einen besinnlichen vierten Advent
Liebe Grüße
Manou