Linda war froh, dass sie dem bunten Treiben kurz entrinnen konnte, schnappte ihre Handtasche und machte sich auf den Weg ins Dorf. Bepackt mit Semmeln, Kuchen, Bier, Saft und Wasser kam sie zurück.
Auch die Damen waren froh über eine kleine Pause und ließen es sich schmecken. Danach teilten sie noch die Männer zum Putzen ein und innerhalb von sechs Stunden erstrahlte das ganze Haus in neuem Glanz. Zum Schluss half Herta noch, die Vorhänge aufzuhängen. Der Helfertrupp war schon verschwunden. „Ich habe im Dorf eine Pizzeria gesehen, darf ich euch beide dorthin einladen?“ Herta und Beppo nickten. „Ja, das ist eine gute Idee.“
Jonas und Klara waren ebenfalls begeistert von dieser Idee. Todmüde saßen alle um den Tisch und warteten auf die bestellte Pizza. „Vielen lieben Dank für eure Unterstützung“, sagte Linda und drückte eine Hand von Beppo und eine von Herta. „Ohne euch würden wir vermutlich in einer Woche noch putzen und räumen. „Das haben wir sehr gerne gemacht. Wir freuen uns wirklich, wieder fröhliche Nachbarn zu haben. Sag einfach immer Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“, sagte Beppo und Herta nickte. Linda nickte ebenfalls. Noch wusste keiner, wie oft das in den nächsten Tagen der Fall sein würde.
Das Essen verlief fast schweigsam. Sie waren alle rechtschaffen müde und Linda freute sich darauf, dass sie, wenn sie nach Hause kamen, die Zimmer aufteilen konnten. Dazu war heute noch gar keine Zeit gewesen. Der Helfertrupp war wie ein Wirbelsturm über sie hereingebrochen.
Wieder zuhause angekommen, machten sie zuerst einen Rundgang durchs Haus. Wie anders es jetzt wirkte, wo alles so sauber war und frisch roch. Linda hätte sich niemals träumen lassen, dass man so etwas in so kurzer Zeit bewerkstelligen konnte. Aber die Leute waren Arbeit gewohnt, das hatte man bemerkt. Die wussten genau, wo sie hin greifen mussten, um das schnellste und beste Ergebnis zu erzielen. „So, jetzt schauen wir mal nach den Zimmern. Die beiden unteren Zimmer würde ich gerne als mein Schlaf- und mein Arbeitszimmer einrichten. Die Wohnstube bleibt Wohnstube. Was denkt ihr? Dann könnt Ihr euch oben auch jeweils zwei Zimmer aussuchen.“
Jonas und Klara gingen durch alle Räume. Klara hatte sich schnell für zwei nebeneinanderliegende Zimmer entschieden, von denen eines einen kleinen Erker hatte. Jonas nahm die anderen zwei, die ebenfalls nebeneinanderlagen.
„Morgen müssen wir zum großen Schweden fahren. Wir brauchen ein paar andere Lampen, Deko und ein paar Kleinmöbel und dann überlegen wir in Ruhe, wie wir uns über den Sommer einrichten wollen. Die Betten und Schränke sind vielleicht nicht der Renner, aber sie sind aus schönem Holz und für den Anfang können wir sie lassen, oder?“ „Ich denke schon“, sagte Jonas. „Das würden wir auf die Schnelle sowieso nicht schaffen.
Es wäre schön, wenn wir uns am Sonntag noch ein wenig ausruhen und das Haus genießen könnten. Ich habe das Gefühl, noch gar nicht angekommen zu sein. Es war noch keine Zeit das alles irgendwie zu verarbeiten.“ Linda und Klara ging es ganz genauso. „Das ist ein guter Plan. Wir machen morgen noch vorläufig fertig und ab morgen Abend ruhen wir uns aus. Und jetzt gehen wir duschen und schlafen.
Nacheinander gingen sie unter die Dusche und trafen sich danach nochmal in der Küche, weil keiner von ihnen einfach so einschlafen konnte. Linda kochte eine Kanne Tee und dann saßen sie am Tisch und malten sich aus, wie sie das Leben hier gestalten konnten. „Vermisst ihr euren Vater?“, fragte Linda leise und hatte etwas Angst vor der Antwort.
„Ich vermisse den Vater, den ich nie hatte. Den Vater, der sich für mich interessiert und mit mir zum Fußball geht“, sagte Jonas leise. „Das Einzige, das sich jetzt geändert hat ist, dass wir so frei sind und nicht dauernd nach der Pfeife von jemandem tanzen müssen, der zwar nie da ist, aber die Regeln für die ganze Familie diktiert. Ich habe das Gefühl, dass wir hier endlich aufatmen können. Aber ich glaube, dass wir dazu noch Zeit brauchen.“ Linda war wieder einmal überrascht, wie klug und reflektiert ihr Sohn die Situation betrachtete.
„Ich bin froh, dass wir hier sind und ich wünsche mir Tiere“, sagte Klara und sah das Haus verliebt an. „Das ist so ein schönes Haus und ich glaube, wir können auch den Garten richtig schön machen“, sagte sie mit müder Stimme. „Ja, das können und werden wir. Und wenn wir die wichtigsten Dinge erledigt haben, denken wir über den Garten und die Tiere nach“, sagte Linda und drückte ihre schläfrige Tochter liebevoll an sich. „Aber jetzt gehen wir doch ins Bett. Wir müssen schlafen. Spätestens um neun Uhr müssen wir los und die Dinge kaufen. Vorher machen wir noch eine Liste, was jeder gerne hätte. Schreibtischlampen und solche Dinge“, ergänzte Linda noch.
Linda wachte sehr früh auf. Ihr Zimmer war nach Osten gelegen, sodass die Sonne schon früh mit aller Kraft hineinschien. Sie würde Jalousien oder dunkle Vorhänge brauchen, ging ihr als erstes durch den Kopf. Aber sie freute sich auch darauf, den heutigen Tag ganz alleine mit einer Tasse Kaffee zu beginnen. Obwohl sie Hals über Kopf hier eingezogen waren, begann sie schon, sich in diesem Haus heimelig zu fühlen, obwohl es so viel anders war als ihr altes Zuhause. Oder vielleicht lag es gerade daran. Das war ein Haus, zu dem ihre Satin-Nachthemden viel weniger passten, als ein Baumwoll-Pyjama, dachte sie auf dem Weg in die Küche. Außerdem hatte sie immer wieder das Gefühl, dass sie das Haus schon kannte.
Sie konnte es sich nicht erklären, aber alles hier kam ihr auf sonderbare Weise vertraut vor. Sogar das Haus von Herta und Beppo. Sie setzte sich mit dem Kaffee nach draußen unter den Nussbaum. Im Garten war noch viel zu tun. Vielleicht würde ihr Beppo helfen, das gröbste Gestrüpp zu beseitigen. Was für ein Glück, am frühen Morgen mitten in der Natur zu sitzen, dem Gesang der Vögel zu lauschen und sich frei zu fühlen. Viel zu lange hatte sie ihr Leben damit verbracht, nach Georgs Pfeife zu tanzen.
Wenn sie jetzt an Georg dachte, war er weit weg. Weder vermisste sie ihn, noch hatte sie Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause, in dem ja sowieso alles so war, wie Georg es wollte. Hier würde sie alles so gestalten, wie es ihr gefiel. Linda konnte ihr Glück kaum fassen und dankte im Geiste Hans Breitner sehr dafür, dass sie den Hof nun bewohnen durfte. Hoffentlich konnte ihr unbekannter Großonkel von dort, wo er jetzt war, sehen, welche Freude er ihr damit gemacht hatte. Sie würde den Hof liebevoll Stück für Stück wieder zum Leben erwecken.
Linda war noch ganz in Gedanken versunken als Klara schlaftrunken in der Haustür erschien. Linda winkte sie zu sich auf die Bank. Klara zögerte kurz und sagte mit Blick auf Lindas Kaffeetasse: „Ich komme gleich, ich mach mir nur rasch einen Kakao.“ Kurze Zeit später trat sie mit einer riesigen Tasse Kakao aus dem Haus und setzte sich zu Linda auf die Bank. „Ich glaube, wir sind die glücklichsten Menschen auf der Welt“, sagte Klara, schmiegte sich an Linda und sog begierig die frische Luft ein, die ein wenig nach Wald und Feldern roch.
„Da kannst du Recht haben“, sagte Linda. Und gemeinsam schwiegen sie und nippten an ihren Getränken. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Linda. Klara nickte: „Wie ein Stein.“ In diesem Moment kam auch Jonas aus dem Haus und gesellte sich zu den beiden. „Ich habe schon eine Liste gemacht, was wir dringend einkaufen müssen. Uns fehlen vor allen Dingen Verlängerungskabel, Mehrfachstecker und solche Sachen. Außerdem hätte ich gerne eine Leselampe am Bett und in der Küche fehlt ein Mixer und diese Plastikschüsseln mit Deckel. Ansonsten ist ganz viel da, das wir verwenden können. Und ungefähr zehn Deckenlampen brauchen wir auch. Die von Onkel Hans sind wirklich hässlich.“
Linda musste laut lachen, als Jonas ihren unbekannten Onkel einfach Onkel Hans nannte, als hätte er ihn ein Leben lang gekannt. Jonas schien ihre Gedanken zu erraten. „Ich habe Onkel Hans zwar nicht persönlich gekannt, aber wir wohnen in seinem Haus und kennen seine Dinge und dadurch habe ich das Gefühl, ihn gekannt zu haben.“ „Da hast du wirklich Recht. Er ist noch überall hier.“
Wird die Idylle anhalten? Das wirst Du morgen erfahren….
Ganz liebe Grüße in Deinen Donnerstag
Manou
Wie toll das alles geschrieben ist. Habe heute morgen alles auf einmal gelesen und bin jetzt schon sehr gespannt wie es weitergeht.
Liebe Renate, das freut mich sehr. Dankeschön ❤️🙏❤️
Ich freue mich immer, wenn ich deine Email für die Fortsetzung deiner Geschichte öffne. Sehr spannend geschrieben und ich glaube sie war als Kind in diesem Haus.
Vielleicht kommt ihr Mann zur Besinnung und die Kinder haben einen anwesenden Vater.
Liebe Manou, herzlichen Dank für deine Bereicherung in der Weihnachtszeit. ❤️🙏
Awwwww, danke liebe Petra fürs mitdenken….und für das schöne Feedback…Du wirst dich überraschen lassen müssen 😅😍❤️🙏