„Pah! Lachte Georg auf. Wo wollt ihr denn hin?“, fragte er und sagte dann mit drohendem Unterton. „Keiner von euch verlässt dieses Haus!“
Linda gab sich scheinbar unbeeindruckt. „Packt all eure Klamotten zusammen und alle Schulsachen und was euch sonst noch wichtig ist. Ich packe ebenfalls.“ Zu Georg gewandt sagte sie: „Wenn du versuchst uns aufzuhalten, rufe ich die Polizei!“ Georg war kurz sprachlos. Linda zückte bereits ihr Telefon und ließ ihren Finger über der Notruftaste schweben. „Wenn du nicht willst, dass alle Nachbarn unser kleines Familiendrama miterleben, lässt du uns jetzt unser Zeug packen und gehen. Ansonsten sorge ich dafür, dass morgen die ganze Stadt über uns spricht.“
„Du mieses Stück Dreck“, zischte Georg und hob die Hand. „Wage es nicht, mich zu schlagen, sonst rufe ich den Notruf auch noch wegen häuslicher Gewalt. Georg wandte sich mit Wut verzerrtem Gesicht an die Kinder: „Ihr werdet ja wohl hoffentlich nicht so blöd sein und mit eurer verrückten Mutter gehen?“
Jonas und Klara wechselten nur einen kurzen Blick und Jonas sagte: „Erstens ist unsere Mutter nicht verrückt und zweitens gehen wir mit.“ Mit diesen Worten drehten sich die beiden um und gingen rasch in ihre Zimmer um ihre Sachen zu packen. Linda flüsterte ihnen auf der Treppe zu: „Nehmt wirklich alles mit, was wichtig für euch ist. Ich habe keine Ahnung, wann und ob wir hier nochmal rein können.“ Klara und Jonas nickten und fingen an, schnell ihre Sachen zusammenzuraffen.
Linda schleppte schon die ersten Taschen zum Auto. Georg stand mit verschränkten Armen im Flur und schaute ihnen zu. „Das wirst du bitter bereuen, Linda!“, sagte er jedes Mal, wenn sie an ihm vorbeiging. Aber er unternahm nichts mehr, um sie aufzuhalten. Linda war gut darin, den Stauraum ihres Siebensitzers gut auszunützen. Zwischen die Koffer packte sie die diversen Plastiktüten, die die Kinder nun sehr rasch herbeibrachten. „Habt ihr eure Laptops, Handy, Ladekabel?“, fragte sie und die beiden nickten. „Gut, dann holen wir jetzt noch unser Bettzeug. Bettlaken habe ich eingepackt.
Linda nahm noch sämtliche Dokumente, die sie ordentlich in einer Mappe verpackt hatte und warf einen letzten Blick auf Georg. Normalerweise hätte sie erwartet, dass sie irgendeine Art des Bedauerns verspürte. Aber in ihr war nur Aufregung und Wut. Die Kinder zwängten sich auf den letzten Rest Platz, der ihnen zum Sitzen blieb. „Habt ihr wirklich alles? Alle Schulsachen, alles was sonst noch wichtig ist für die nächste Zeit?“ Die beiden nickten. Dann drehte Linda den Schlüssel im Zündschloss und langsam rollten sie aus der Einfahrt.
Zuerst fuhren sie schweigend, dann löste sich der Schock. Klara begann zu schluchzen. Jonas versuchte sie zu trösten, konnte aber kaum zu ihr hinübergreifen, da sich auf der Rückbank zwischen ihnen Kisten und Säcke türmten. „Wohin fahren wir jetzt?“, brach Jonas das Schweigen. „Naja, ich denke, wir fahren zu unserem Haus und schauen, dass wir uns ein Lager für die Nacht richten. Morgen ist Freitag, ich werde euch in der Schule entschuldigen und bis Montag sollten wir es geschafft haben, dass wir uns halbwegs häuslich eingerichtet haben.
So schnell habe ich auch nicht damit gerechnet“, sagte Linda. Klara hörte auf zu schluchzen. „Jetzt haben wir mal erlebt, wie gemein Papa sein kann“, sagte sie und ihre Stimme zitterte immer noch. „Ja, aber Mama war ziemlich cool“, sagte Jonas und etwas Stolz klang aus seiner Stimme. „Hätte ich gar nicht gedacht, dass du so auf den Tisch hauen kannst“, fügte er noch hinzu. Linda musste lachen. „Ganz ehrlich Kinder, ich hätte das auch nicht gedacht. Aber euer Vater ist einfach einen Schritt zu weit gegangen. Ich lasse mir viel gefallen, aber nicht alles.“
„Außerdem muss ich morgen unbedingt beim Haus sein, um das Entrümpelungsunternehmen davon abzuhalten, die Möbel raus zu tragen. Das wurde mir schlagartig klar. Damals, als ich das Geld von Oma und Opa geerbt hatte, konnte ich gar nicht so schnell schauen, wie Papa es sich unter den Nagel gerissen hat und mich auch noch dafür verhöhnte, dass meine Eltern mir nicht mehr hinterlassen haben.“ Jonas fragte: „Echt jetzt? Er hat dir das Geld einfach weggenommen?“ „Ja“, sagte Linda. „Während wir drei noch damit beschäftigt waren, unsere Tränen zu trocknen, hat euer Vater bereits den Wintergarten geplant und beauftragt.
Übrigens ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt einen Wintergarten möchte oder wie ich mir einen vorstellen würde. Er hat einfach über alles verfügt. Und schon damals war mir klar, dass das meine einzige Chance gewesen wäre, mich auf eigene Beine zu stellen, aber die hat er mir sehr schnell entzogen. Aber jetzt habe ich eine zweite Chance erhalten und die werde ich mir nicht noch einmal wegnehmen lassen. Und seit ich weiß, dass ihr das auch wollt, war es klar für mich, dass ich das jetzt durchziehen werde.“
In dem Moment bogen sie in die Forststraße ein, die durch den Wald zu ihrem Hof führte. Es war ungewohnt dunkel. Nirgendwo brannte eine Lampe. Bei Nacht wirkte der Hof doch sehr unbewohnt und auch etwas gruselig. „Hoffentlich gibt es Strom“, sagte Linda. „Ein paar Kerzen habe ich mitgebracht, aber das ganze Haus kann man damit nicht erhellen.“ Doch ihre Sorge war umsonst. Es hatte sich niemand darum gekümmert, den Strom abzumelden.
„Tja, wir müssen uns nun überlegen, wo wir unser Nachtlager aufschlagen werden. Oben habe ich in einem der Schlafzimmer ein Doppelbett gesehen. Wollen wir heute ausnahmsweise in einem Bett schlafen und morgen kümmern wir uns um die Aufteilung der Zimmer?“ Klara und Jonas nickten. Gemeinsam schleppten sie die Sachen ins Haus und stellten alles im Vorraum ab. Linda ging nach oben und schaute sich das Schlafzimmer genauer an. „Es ist nicht sehr heimelig, aber für eine Nacht wird es gehen.
Morgen wartet viel Arbeit auf uns, aber jetzt schlafen wir erst einmal. Ich habe ein paar Kekse und Saft mitgenommen, das können wir noch essen und morgen werden wir erstmal die Lage sichten und einkaufen.“ Rasch legte sie eine Decke und darüber ein Leintuch auf die Matratzen und darauf ihre Kissen und Decken. Dann prüfte sie das Wasser im WC, im Bad und in der Küche. „Die lebensnotwendige Infrastruktur ist da, um den Rest kümmern wir uns morgen.“ Noch lange lagen Linda und die Kinder wach im Bett und rekapitulierten die vergangenen Stunden.
Am nächsten Morgen wachten sie schon früh auf. Linda hat glücklicherweise daran gedacht, ein Glas löslichen Kaffee, einen Liter Milch und Kakao mitzunehmen, sodass sie mindestens etwas Warmes trinken konnten. Kaum waren sie aufgestanden stand auch schon Bauer Beppo vor der Tür. „Hallo Linda?“, rief er schon von draußen. Linda stürmte ihm entgegen.
„Lieber Beppo, es tut mir schrecklich leid, dass mein Mann gestern offenbar sehr ausfallend geworden ist“, sagte sie als erstes. Beppo lachte. „Wenn das dein Mann war, dann kann ich immer besser verstehen, warum du lieber hier wohnen willst, als in einer Villa in der Stadt.“ Dann erst sah er die Kinder. „Oh, wen haben wir denn da?“, fragte er freundlich und reichte Klara und Jonas die Hand. „Wie wäre es, wenn ihr zu einem anständigen Frühstück zu uns rüberkommt und alles erzählt. Linda wollte gerade erfreut zusagen, da fiel ihr ein, dass sie dafür sorgen musste, dass das Entrümpelungsunternehmen nicht das Haus leerräumte.
Beppo stutzte. „Dein Mann hat ein Entrümpelungsunternehmen bestellt? Hier gibt es nur eines und das gehört meinem Schwager. Warte, ich rufe mal rasch an.“ Innerhalb weniger Minuten war die Entrümpelungsfirma abbestellt und Linda und die Kinder machten sich durch die Felder wieder einmal auf den Weg in Beppos und Hertas Küche.
Bei einem exzellenten Frühstück schilderte Linda die Lage und erlebte das erste Mal, was Menschen, die sehr gut vernetzt sind, in wenigen Minuten organisieren können. „In einer Stunde kommen die Jungs aus dem Dorf und helfen mit dem Ausräumen, dann sind wir in einer Stunde fertig und um 13.00 Uhr kommen die ganzen Damen des Ortes und helfen beim Putzen. Heute Abend habt ihr schon ein ordentliches Zuhause. Linda kam aus dem Staunen nicht heraus. Mit wenigen Anrufen hatten die beiden das halbe Dorf mobilisiert. Nach dem Frühstück machten sich Linda, die Kinder, Beppo und Herta auf den Weg zum Breitner-Hof. Wenig später kamen schon die ersten Männer an und Beppo übernahm das Kommando.
Herta und Linda fädelten bereits die Gardinen aus den Halterungen, damit sie diese rasch waschen konnten. Glücklicherweise war der ganze Haushalt von Hans Breitner noch in gutem Zustand. Kaum war die erste Fuhre in der Maschine rückten acht Freundinnen von Herta an und machten innerhalb weniger Minuten einen Schlachtplan. Linda konnte kaum so schnell schauen, wie die Damen begannen, die Wände abzukehren, die Fenster und Fensterrahmen zu putzen. Währenddessen schaute Linda nach, ob die Männer alle Kisten und Gegenstände rausgetragen hatten. Diese saßen schon draußen unter dem Nussbaum und tranken ein Bier. „Linda, falls es dir nichts ausmacht, könntest du im Dorf ein paar Wurstsemmeln besorgen. Arbeiter muss man bei Laune halten und das geht am besten mit Essen und Trinken“, grinste Beppo.
So, und morgen geht es weiter. Wie wird es Linda und den Kindern in ihrem neuen Zuhause ergehen?
Liebe Grüße in Euren Mittwoch
Manou
Das ist mein Traum…..
Obwohl ich keinen so grausligen Mann hatte, habe ich immer auf so ein Erbe gewartet! Wohl micht intensiv genug.
Was nicht ist, kann ja noch werden ❤️🙏😍
Also ganz ehrlich??? Diese Geschichte ist für mich das Highlight der Adventzeit. Ich freue mich jeden Tag da drauf. Und ja so einen Hof hätte ich auch gerne wieder. Mein Ex-Mann war zwar nicht so extrem, aber er hat trotzdem den Hof seiner Eltern verkauft und mich, die Kinder und Enkelkinder samt allen unseren Tieren auf die Straße gesetzt. Das Zusammenleben mit vier Generationen ist nicht einfach, hat aber auch viele Vorteile und seine schönen Seiten.
Ach Christa, was für ein schöner Kommentar ❤️😍🤗 das tut mir schrecklich leid, dass dir das passiert ist. 😘😘😘
Jetzt, drei Jahre danach sehe ich das als Chance, als Familie sind meine Kinder und ich noch näher zusammengerückt. Mein Ex wird im Alter alleine sein. Meine Enkelkinder sind jetzt schon ganz tolle Hilfen für mich.
Ich freue mich jeden Tag wie ein kleines Kind die Geschichte weiter zu hören. Heute kamen mir die Tränen bei diesem Zusammenhalt der Helfer in der Not. Auch ich würde gerne so viele Freunde und Helfer zur Seite haben.
Liebe Katharina, wir erschaffen und alle gemeinsam genau so eine Welt ❤️🙏🤗😘
An genau so einer Welt arbeiten wir doch alle, liebe Katharina ❤️🙏❤️