„Hallo? Ist da wer?“, hörte sie eine Männerstimme rufen. „Wer sind sie?“, rief Linda nach unten. „Das möchte ich sie auch fragen!“, kam sofort die Antwort von unten. Linda sah einen Mann am Treppenabsatz stehen.
Mit zitternden Knien richtete sie sich auf und sah sich den Mann genauer an. Sehr bedrohlich wirkte er nicht. Er schien schon älter zu sein und wirkte eher wie ein freundlicher Bauer. Sein Blaumann und das karierte Hemd unterstrichen diesen Eindruck.
„Oh, entschuldigen sie, dass ich sie erschreckt habe“, sagte er. „Ich bin Beppo Ludwig vom Nachbarhof.“ Linda rieb sich die schmerzende Hüfte, die durch den Aufprall etwas lädiert war und ging langsam die Treppe hinunter um sich den Fremden etwas genauer anzusehen. „Darf ich fragen, wer sie sind?“, sagte er. Linda wischte sich die Hände notdürftig an ihrem Kleid ab. „Ich bin Linda Hohenfeld. Ich habe diesen Hof geerbt“, sagte Linda. „Oh, ich bin erfreut, sie kennenzulernen“, sagte Beppo Ludwig und musterte Linda.
„Wie eine Bäuerin sehen sie zwar nicht aus, aber vielleicht wird das ja noch was“, fügte er hinzu und lachte herzlich. Linda schmunzelte. „Ich fürchte, dafür fehlen mir ganz viele Eigenschaften“, antwortete Linda und lachte ebenfalls. „Kannten sie meinen Großonkel?“, fragte Linda und war sich schon während sie die Frage stellte bewusst, dass sie eigentlich überflüssig war. „Natürlich, wir haben ja nicht weit auseinander gewohnt. Aber der alte Hans war ein Eigenbrötler. Wir hatten nicht besonders viel Kontakt. Nur hin und wieder haben wir uns gegenseitig ausgeholfen.“ Linda freute sich über den Besuch von Beppo. Es machte das Ganze etwas realer und greifbarer.
„Ich würde gerne alles über Hans Breitner erfahren. Ich kannte ihn nämlich überhaupt nicht, kann mich auch nicht erinnern, dass meine Mutter ihn jemals erwähnt hat“, sagte Linda und strich sich die Haare aus der Stirn. „Wenn sie wollen, kommen sie doch auf einen Kaffee zu uns auf den Hof. Meine Frau wird sich freuen, wenn wir mal wieder Besuch haben.“ Linda überlegte kurz und ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie noch mindestens drei Stunden Zeit hatte.
„Gerne. Ich möchte nur rasch die Fenster schließen und meine Hände waschen. „Nur zu“, sagte Beppo. „Ich warte draußen.“ Linda machte noch einen Rundgang durchs Haus und schloss gewissenhaft alle Fenster. Wieder wunderte sie sich darüber, wie vertraut ihr das alles erschien. Dann verschloss sie die Tür und schaute sich nach Beppo Ludwig um. Der hatte in der Zwischenzeit die Stallungen besichtigt. „Ich bin gespannt, was sie mit dem Hof vorhaben. Ich hoffe, sie ziehen hier ein“, sagte er und sah Linda auf seine fröhlich neugierige Art an.
„Ach, das ist gar nicht so einfach“, sagte Linda und überlegte, wie weit sie Beppo in ihre Misere einweihen wollte. „Gehen wir zu Fuß oder wollen sie mit dem Auto rüberfahren?“, fragte Beppo. „Ich glaube ein Fußmarsch wird mit gut tun“, sagte Linda. Gemeinsam nahmen sie den Weg über die Felder. Während sie gingen, zeigte Beppo ihr, welche Felder er bewirtschaftete und was er anbaute. Linda hörte ihm zu. Es war eine ganz andere Welt. Beppo wirkte so zufrieden und in sich ruhend. So musste es sein, wenn man genau das Leben führte, das zu einem passte.
Nach wenigen Minuten erreichten sie bereits den Garten der Ludwigs. Schon von Weitem sah Linda eine rundliche Frau über den Gemüsebeeten gebeugt stehen. Als sie näherkamen, richtete sie sich auf und winkte ihnen zu. „Schau mal Herta, wen ich gefunden habe“, sagte Beppo und lachte. Frau Ludwig lachte ebenfalls und Linda schloss sie augenblicklich in ihr Herz. Was für eine herzliche und fröhliche Frau! „Willkommen“, sagte Herta Ludwig und fügte hinzu: „Normalerweise findet mein Beppo Kröten und Blindschleichen. So eine hübsche junge Frau hat er hier noch nie gefunden“, lachte sie und streckte Linda ihren Ellbogen entgegen, da ihre Hände voller Erde waren.
Linda war etwas überrascht, aber diese Geste schien für Herta nicht ungewöhnlich zu sein. Linda begrüßte also den Ellbogen der fröhlichen Frau Ludwig. „Kommen sie herein und lassen sie uns etwas plaudern. Ich nehme an, sie sind die Erbin des Breitner-Hofs.“ Linda nickte. „Woher wissen sie das?“, fragte sie. „Das ist nicht so schwer. Erstens hat man im Dorf darüber gemunkelt, dass eine Frau aus der Stadt den Hof geerbt hat und zweitens hat sich mein neugieriger Mann auf den Weg zum Breitner-Hof gemacht, weil er ihr Auto gesehen hat.“
Linda nickte und folgte Herta Ludwig ins Haus. Nachdem diese sich gründlich ihre Hände geschrubbt hatte, rührte sie kurz in einem Topf, der auf dem Herd stand und aus dem ein verführerischer Duft drang und befüllte den Kaffeefilter mit dem duftenden Pulver. Linda setzte sich an den massiven Küchentisch und fühlte sich sogleich wohl. Es war, als wäre sie da schon immer gesessen. Warum fühlte sich das alles hier so unglaublich vertraut an? „Können sie mir etwas über meinen Großonkel erzählen?“, fragte Linda, als Herta sich zu ihr an den Tisch gesellte. „Ja, das kann ich. Aber zuerst möchte ich mal, dass wir das Sie weglassen. Ich bin Herta, das ist Beppo“, sagte sie mit Blick zu ihrem Mann. „Und ich bin Linda“, sagte Linda rasch. Sie freute sich über die Vertrautheit.
„Der Breitner Hans war ein schrulliger und verschrobener Kerl“, begann Herta zu erzählen. „Wir sind ja erst vor ungefähr dreißig Jahren hier eingezogen, aber da war er schon so. Im Dorf hat man sich erzählt, dass er früher anders gewesen sei. Früher hätte er Kontakte zu seiner Familie und auch Freundschaften gepflegt. Aber dann muss irgendetwas passiert sein, das ihn dazu bewogen hat, sich von allen Menschen zurück zu ziehen. Er war auch nie verheiratet. Seine Familie waren seine Tiere. Er hatte immer eine kleine Rinderherde und auch einen Gaul, mit dem er die schweren Dinge transportiert hat. Zu den Tieren war er immer sehr liebevoll. Ab und zu haben wir ihm geholfen, wenn eine Kuh Probleme beim Kalben hatte.
Dann hat er uns gerufen und wir haben erlebt, wie er mit der kalbenden Kuh gesprochen hat. Da war er immer sehr nett. Aber mit Menschen hatte er es nicht so. Er sprach auch nie darüber. Ab und zu hat Beppo mit ihm mal ein Pfeifchen geraucht, aber auch dabei war er meist still und verschlossen. Er sprach über das Wetter, die Ernte, die Tiere, aber nie über sich selbst. Deshalb kam es auch, wie es kommen musste. Wir haben erst Tage später bemerkt, dass sich auf dem Hof nichts mehr rührt und haben ihn gefunden. Da war er schon tot. Vielleicht hätte man ihm noch helfen können, wenn man ihn früher gefunden hätte.“ Herta schaute traurig auf den Tisch und zeichnete mit dem Finger Figuren auf das Holz.
So, und morgen geht´s weiter.
Ich wünsche Euch allen eine gute Nacht
Ganz liebe Grüße
Manou
DANKE !!! Ich wünsche auch eine gute Nacht. Ich dreh das Kastl jetzt ab und geh ins Bett lesen.
Gute Nacht 🙂
Du machst es spannend. Schon der 7. Tag und es scheint kein Ende zu nehmen. Seufz