Am nächsten Morgen erwachte Linda früher als sonst. Und sie erinnerte sich an den Brief. Hatte sie das geträumt? Fast ängstlich durchsuchte sie ihr Gedächtnis, aber ein Blick in ihre Handtasche bestätigte ihr, dass der Brief real war.
Rasch duschte sie, ging in die Küche, machte Frühstück und schmierte die Pausenbrote. Während die Kinder pflegeleicht waren, was Frühstück und Pausenverpflegung anging, hatte Georg auch hier klare Vorstellungen. Aber Linda war routiniert. Sie hatte stets alles im Haus und so schaffte sie es auch heute, ihn zufrieden zu stellen. Die Kinder waren morgens meist schweigsam, ebenso wie Linda. Nur Georg hatte schon am Morgen ein großes Mitteilungsbedürfnis, ihnen zu sagen, was für ein schrecklicher Tag ihn heute erwartete.
Als er erwähnte, dass er heute Abend auch noch ein Geschäftsessen hatte, wechselten Linda und die Kinder heimliche Blicke. Vielleicht konnten sie mal wieder einen gemütlichen Abend bei Fernsehen und Pizza verbringen. Bewusst unbekümmert fragte sie Georg, wann er nach Hause kommen würde. Er zuckte die Achseln und sagte: „Ach der Eine redet immer so viel und ich fürchte, wir müssen hinterher noch in die Bar gehen, was trinken. Es wird vermutlich Mitternacht werden.“
Lindas Herz machte einen Hüpfer. Endlich mal wieder ein ungestörter Abend mit den Kindern! Linda vermutete schon lange, dass die Tage nicht halb so schrecklich waren, wie Georg immer tat, aber es war wichtig für ihn, ihnen zu zeigen, was er für sie alles auf sich nahm. Wie jeden Morgen hörten sie dem Rest seiner Ausführungen schweigend zu, bzw. taten als würden sie zuhören und hingen dabei ihren eigenen Gedanken nach. Jeder der drei hatte seine eigene Strategie entwickelt, die Minuten hinter sich zu bringen.
Da Georg als erster das Haus verließ, hatten sie danach noch Zeit, miteinander zu sprechen. Linda strich den beiden Kindern übers Haar und verabschiedete sie liebevoll. Dann machte sie sich zurecht und verließ ebenfalls das Haus. Im Auto würde sie gleich den Notar anrufen. Als die Uhr genau auf acht Uhr stand, nahm Linda das Telefon zur Hand. Am anderen Ende war eine freundliche Dame, die sofort wusste, wer Linda war. Sie vereinbarten, dass Linda gleich um 14.00 Uhr kommen würde.
Das war der nächste Höhepunkt ihres Tages. Heute würde sie um dreizehn Uhr gehen. Komme, was wolle. Und es gelang mühelos. Niemand fragt, was sie vorhatte, niemand hatte Einwände. Um Punkt dreizehn Uhr packte Linda ihre Sachen und eilte zu ihrem Auto. Der Weg zum Notariat war nicht weit, und so war Linda bereits etwas früher da. Sie ging ein wenig die Straße auf und ab und wartete bis 13.50 Uhr. Dann läutete sie an. Nach kurzer Zeit sagte ihr der Summton, dass sich die Tür geöffnet hatte.
Erwartungsvoll trat sie in das kühle Treppenhaus. Obwohl es erst Ende Mai war, war es schon sehr heiß. Aber das Treppenhaus war herrlich kühl und es herrschte ein angenehmes Dämmerlicht.
Der Notar wirkte beruhigend auf Linda. Er begrüßte sie freundlich und beantwortete alle Fragen. Der Verstorbene war der Onkel ihrer Mutter und hatte sonst keine Angehörigen, sodass Linda die Haupterbin war. Schulden gab es keine, lediglich ein altes Bauernhaus und rund 50.000€ auf einem Konto. Davon musste Linda das Begräbnis zurückzahlen, wenn sie das Erbe annahm, der Rest würde ihr gehören.
Die Begräbniskosten hatte die Stadt übernommen, da auf die Schnelle die Erbin nicht auszumachen war und sie beliefen sich auf rund 10.000€. Das bedeutete, dass Linda das Haus und rund 40.000€ erben würde. Der Notar warnte sie. Das Haus befand sich in keinem allzu guten Zustand. Sollte sie es verkaufen wollen, würde er ihr gerne zur Seite stehen.
Zuerst würde er alles in die Wege leiten, damit sie als Eigentümerin ins Grundbuch aufgenommen werden würde. Linda erbat sich ein paar Tage Bedenkzeit. Sie wollte das Haus zuerst sehen. Der Notar händigte ihr den Schlüssel aus, damit sie sich ein Bild machen konnte. Linda unterschrieb die Übernahme der Schlüssel und verabschiedete sich. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass die Kinder in wenigen Minuten Schulschluss haben würden. Sie würde sie überraschen und mit ihnen gemeinsam das Haus besichtigen gehen. Fröhlich setzte sie sich hinters Steuer und hatte wenige Minuten später die Schule erreicht. Sie kam gerade rechtzeitig, um die beiden abzufangen.
Erfreut über die Abwechslung sprangen beide ins Auto. Es war ihnen bewusst, dass sie heute einen ganz besonders freien Tag haben würden, da ihr Vater spät nach Hause kommen würde. Linda verriet nicht, wohin sie fahren würden, sondern steuerte rasch den nächsten McDrive an, ließ die Kinder ihre Bestellung machen und gab dann die Adresse in ihr Navi ein.
Und obwohl die Kinder sie mehrmals fragten, wohin sie fahren würden, schwieg Linda beharrlich. Sie wollte sie überraschen. Als das Navi sie aus der Stadt herausführte und die Umgebung immer beschaulicher wurde, schwiegen die Kinder und schauten gespannt aus dem Fenster. Erst durchquerten sie ein paar Ortschaften, danach führte sie ein Weg durch ein Wäldchen und wenige Minuten später standen sie vor einem einsam gelegenen Gehöft.
Ganz in der Ferne war ein weiterer Hof zu sehen, aber dieser Hof stand sehr abgelegen. Die Kinder schauten Linda ratlos an. Waren sie am Ziel? Linda hieß sie auszusteigen und gemeinsam gingen sie auf das Gebäude zu. Vorne stand das Haupthaus und dahinter lagen die ehemaligen Stallungen. Insgesamt war es ein großes Anwesen, das früher sicher einmal stattlich gewesen war. Aber die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen und ganz offensichtlich war es schon lange nicht mehr gepflegt worden.
Das Gras im Garten war hüfthoch und nur noch mit viel Fantasie war der frühere Bauerngarten erkennbar. Auch vor dem Haus hatte sich das Gras durchgesetzt. Erst als die Kinder realisierten, dass Linda einen Schlüssel hatte, fingen sie wieder an zu fragen. Vorher waren sie zu beschäftigt gewesen, das alles zu betrachten. „Ich habe dieses Haus geerbt“, sagte Linda unvermittelt. Jonas und Klara drehten sich zu Linda um und sahen sie erstaunt an. „Ernsthaft? Dieser Hof gehört uns?“, fragte Jonas. Linda nickte. „Das ist ja super“, sagte Klara. „Dann könnten wir doch hier wohnen und Tiere halten“, fügte sie hinzu.
Linda lächelte. Klara liebte Tiere, aber Georg hatte jede Art von Haustieren verboten. Die machten Schmutz und außerdem mochte er keine Tiere. „Höchstens auf dem Teller“, pflegte er immer zu sagen und war der Einzige, der über diesen alten Witz lachte. Linda war schon lange Vegetarierin, da sie das Leid der Tiere zu sehr berührte und die Kinder schlossen sich langsam an. Aber je weniger Fleisch die Familie aß, umso öfter bestand Georg auf „ein ordentliches Stück Fleisch“ auf dem Teller.
Linda sagte noch nichts. Sie war zu überwältigt. Ja, dieses Haus würde ihr vielleicht die letzte Gelegenheit bieten, um aus ihrem bisherigen Leben auszusteigen. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf. Wann würde sie Georg sagen, dass sie das Haus geerbt hatte? Er würde ganz bestimmt auf einen sofortigen Verkauf drängen. Sie musste das unbedingt verhindern. Erst würde sie mit dem Notar darüber sprechen müssen, damit er ihr half, das Haus zu behalten. Dass sie das Erbe annehmen würde, stand augenblicklich für sie fest. Sie liebte das Haus jetzt schon. Langsam steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Es war ein feierlicher Augenblick.
Morgen geht`s weiter
PS: Heute Abend ist Kristallmeditation! Wenn noch wer Interesse hat, einfach kurz eine Mail schicken unter manuela@pusker.at
Ich wünsche Euch einen wunderschönen Mittwoch
Manou
Das wäre auch mein Traum……
Jaaaaaaaa ❤️😍🙏