Dies ist eine Geschichte, die mir selbst vor vielen Jahren passierte. Ich lebte damals schon in diesem Haus, der Alten Schule in Edlach, und ich saß an genau dem gleichen Platz, an dem ich jetzt auch sitze. Ebenfalls tat ich damals das Gleiche wie jetzt. Ich schrieb an einer Geschichte.
Es war ein wunderbarer Herbsttag
Es war ein wunderbarer Herbsttag und die warmen Strahlen der Herbstsonne fielen auf meinen Tisch. Meine Kinder waren noch klein und ich hatte sie am frühen Morgen in den Kindergarten gebracht. So saß ich am Tisch und schrieb und schrieb. Meine Gedanken waren völlig in der Geschichte gefangen und die Zeit ging rasend schnell vorbei. Plötzlich hatte ich den Impuls auf die Uhr zu schauen. Es war elf Uhr am Vormittag. Ich hatte also noch eine Stunde Zeit, bevor ich meine Kinder wieder in Empfang nehmen würde.
An Schreiben war nicht mehr zu denken
Nach diesem Blick auf die Uhr versuchte ich, wieder in den alten Schreibfluss zurückzukehren und an der Geschichte weiterzuschreiben, doch es wollte mir nicht gelingen. Ständig schaute ich auf die Uhr und plötzlich überkam mich der Wunsch, nach draußen in den Garten zu gehen. Ich stand auf und ging durch die Terrassentür hinaus. Schon als ich ins Freie trat, fiel mir auf, dass sich die Luft anders anfühlte als sonst. Sie war irgendwie dichter.
Doch wie von unsichtbaren Fäden gezogen, ging ich langsam nach hinten in den Garten. Wie oft war ich diesen Weg schon gegangen. Doch an diesem Tag war alles anders. Ich nahm meine Umgebung wahr, auf eine Weise erschien sie auch wie immer, doch auf eine andere Weise war sie mir völlig fremd. Ich hatte keine Angst. Nur die Gewissheit war in mir, dass ich in den Garten gehen und diesen abschreiten musste. Ich setzte an einer Seite an, und ging entlang des Zaunes langsam vorwärts. Es war, als ob ich durch eine Masse gehen musste. Die Luft bot wesentlich mehr Widerstand als sonst. Und als ich entlang der Gartengrenzen ging, war es, als zögen Äonen von Jahren an mir vorbei. Ich erlebte dieses Stück Erde zu allen möglichen Zeiten. Es waren auch die verschiedensten Jahreszeiten dabei. Ich durchschritt den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter.
Alles war fremd und doch vertraut
Dabei war mir nicht kalt oder heiß, ich nahm mich selbst eigentlich kaum wahr. Ich ging immer wieder die gleichen Grenzen ab und fühlte mich, als befände ich mich in einem Zug, der sich nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit bewegte. Ich nahm keine Anstrengung wahr, obwohl ich mich durch einen Widerstand bewegte. Auch war kein Gefühl der Beunruhigung war in mir, nur grenzenloses Staunen. So schritt ich einfach langsam dahin. Ich hinterfragte auch nichts.
Es war einfach zu tun
Ich wusste, dies war nun zu tun. Und ich fragte nicht, warum. Eine Runde nach der anderen drehte ich im Garten bis ich den Impuls empfing, mich unter einen der Nussbäume zu setzen. Dort saß ich und der Zug der Zeit ging immer weiter. Alles in mir wusste, dass dies völlig in Ordnung war. Ich hatte jegliches Gefühl für die Gegenwart verloren. Eigentlich hatte ich auch jegliches Gefühl für mich selbst verloren. Ich war in dieser Zeit weder Manou noch sonstwer. Ich existierte einfach. Und ich war in allem und alles war in mir.
Pendlerin durch die Zeit
Ich war eine Pendlerin durch die Zeit. Denn auch mich selbst erlebte ich als Kind, aber nicht unbedingt als das Kind, das ich in diesem Leben gewesen war, sondern als irgendein Kind. Und als diese Bilder endeten, erlebte ich mich als Greisin. Als alte Frau, die irgendwo in einem Garten saß und wartete. Worauf diese alte Frau wartete, wusste ich nicht. Es war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, dass alles seine Richtigkeit hatte, was gerade geschah.
Die letzten Blätter des Nussbaumes
Durch die letzten Blätter des Nussbaumes, die zu dieser Jahreszeit noch am Baum hingen, schaukelte die Sonne. Ich betrachtete die Formen und Figuren, die die Blätter und die Sonnenstrahlen auf den Boden warfen auf dem ich saß, und alles erschien mir bedeutungsvoll. Ich wusste nicht, welche Bedeutung diese Bilder hatten, doch wusste ich, dass sie bedeutungsvoll waren. Ich nahm keinerlei Geräusche war. Weder hörte ich vorbeifahrende Autos noch nahm ich irgendetwas Anderes aus der Gegenwart wahr.
Es ging einfach immer weiter
So saß ich eine unendlich lange Zeit unter diesem Nussbaum und empfing, was gerade kam. Noch immer war die Luft dichter als sonst, doch ich hatte keine Mühe zu atmen. Das Gefühl von absoluter Richtigkeit war immer noch da. Alles hatte sich aufgelöst. Die Grenzen waren verschwommen. Nicht nur die räumlichen Grenzen, sondern auch die Grenzen der Zeit. Ich erlebte einen Zustand des absoluten Gewahrseins, aber auch des völligen Verschmelzens mit allem was war, was ist und was sein wird. Da gab es kein vorher oder nachher. Es war das unendliche Jetzt.
Plötzlich – grenzenloses Erschrecken
Nach einer Zeit ließ die Bewegung durch Raum und Zeit nach und ich erschrak zutiefst. Ich hatte jedes Zeitgefühl vollkommen verloren und ich erinnerte mich an das Jetzt. Und dass ich um zwölf Uhr meine Kinder im Kindergarten abholen musste. Dieser Gedanke katapultierte mich mit unglaublicher Wucht in die Gegenwart und ich rannte ins Haus. Mein Herz raste. Schließlich war ich Ewigkeiten im Garten gewesen. Alles drehte sich um mich. Ich war nicht erreichbar gewesen. Sicher hatte der Kindergarten bereits versucht, mich zu erreichen. Mein mütterliches schlechtes Gewissen war unermesslich. Als ich die Terrassentür wieder erreichte, hatte ich furchtbare Angst vor dem Blick auf die Uhr. Während des ganzen Weges vom Garten zur Terrasse hatte ich versucht zu erraten, wieviel Zeit vergangen war. Ich war so lange im Garten gewesen, es musste bereits später Nachmittag sein.
Ich hatte alles um mich herum vergessen, sogar meine Kinder
Die Gedanken rasten in meinem Kopf. Kaum traute ich mich, auf die Uhr zu schauen. Doch als mein Blick auf die Uhr fiel, war immer noch elf Uhr. Die gleiche Zeit wie die, die ich erblickt hatte, als ich noch am Tisch saß und schrieb. Die Uhr musste stehengeblieben sein. Ich hechtete zum Tisch um auf mein Telefon zu schauen, doch auch dort war es elf Uhr. Ebenso auf meinem Laptop und auf jeder anderen Uhr in unserem Haus.
Die Zeit war stehengeblieben
Ich war vollkommen verwirrt. War seit dem Moment, an dem ich am Tisch saß und dem gegenwärtigen Moment keine Zeit vergangen, obwohl ich das Gefühl hatte, ein halbes Leben lang im Garten gesessen zu haben.
Dieses Erlebnis hat sich in dieser Intensität niemals mehr wiederholt und im Lauf der Jahre wurde mir immer mehr bewusst, dass ich damals in einem anderen Zeitstrahl gewesen sein musste. Vielleicht war es auch eine andere Dimension. Ich weiß es nicht. Es war auf jeden Fall ein sehr eindrückliches Erlebnis.
Ich wünsche Euch einen wunderschönen ersten Advent!
Manou
Ich kann gar nichts sagen, habe es jetzt 3x gelesen….Wow, mir fehlen die Worte🙏unsagbar schön ….
Oh, vielen lieben Dank Maria ❤️🙏❤️
Danke liebe Manou für dein Teilen deiner Erfahrung. Ich finde sie total stimmig.
Möglicherweise ist die Zeit nicht stehen geblieben, da es Zeit(Vergangenheit und Zukunft) in Wahrheit nicht gibt. Einige Erwachte raten uns nicht an der Zeit festzuhalten, da alles gleichzeitig sich in unserem Geist(wir sind der Träumer)ereignet. Zeit ist wohl eher ein Gedanke in uns und jeder erfährt sie anders.
Dieses besondere Erlebnis hat dir viel zu sagen. ❤️🤷♀️
Ja, das ist möglich, liebe Petra. Dankeschön für deinen Kommentar ❤️🙏❤️