Allerseelen – die vergessenen Menschen ehren

Heute ist Allerseelen, und es ist wichtig, dass wir an diesem Tag auch der Menschen gedenken, die vielleicht aus unserem Bewusstsein entschwunden sind. So viele Menschen sind schon auf dieser Erde gewandelt, die im Kleinen oder Großen wunderbare Taten verbracht haben. Das können Menschen aus der Ahnenreihe sein, die die Geschicke der Familie verändert haben – vielleicht haben sie ein Unternehmen gegründet oder sind ausgewandert oder sind auf irgendeine andere Art aus den Familienmustern ausgebrochen. Oder es können die Menschen sein, die das Haus erbaut haben, in dem wir leben, oder die dort länger oder kürzer gelebt haben. Wir können aber auch der Menschen gedenken, die durch ihre besonderen Taten allgemeines Aufsehen erregt haben.

Janusz Korczak

Ein Mensch, der mich immer wieder sehr berührt, ist Janusz Korczak. Die Geschichte von Janusz Korczak ist so berührend, dass ich sie heute mit Euch teilen möchte. Er war Militär- und Kinderarzt und betreute eine Gruppe von 200 jüdischen Waisenkindern in einem Waisenhaus im Warschauer Ghetto während des NS-Regimes. Eines Tages sollten diese Kinder aus dem Ghetto abgeholt werden und in das Vernichtungslager in Treblinka gebracht werden. Janusz hätte die Möglichkeit gehabt, „seine“ Kinder alleine fahren zu lassen. Mehrmals wurde ihm angeboten, dass er sein eigenes Leben retten könne. Aber er lehnte dies ab.

Der Komponist und Pianist Władysław Szpilman wurde Augenzeuge des Abtransports und beschreibt die Szene in seinen Memoiren:

„Eines Tages, um den 5. August […] wurde ich zufällig Zeuge des Abmarsches von Janusz Korczak und seinen Waisen aus dem Ghetto. Für jenen Morgen war die ‚Evakuierung‘ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janusz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, daß sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe.

Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. Die kleine Kolonne führte ein SS-Mann an, der als Deutscher Kinder liebte, selbst solche, die er in Kürze ins Jenseits befördern würde. Besonders gefiel ihm ein zwölfjähriger Junge, ein Geiger, der sein Instrument unter dem Arm trug. Er befahl ihm, an die Spitze des Kinderzuges vorzutreten und zu spielen – und so setzen sie sich in Bewegung. Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, der kleine Musikant spielte ihnen auf und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der ‚Alte Doktor‘ noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: ‚Nichts, das ist nichts, Kinder‘ um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen.“ Quelle: Wikipedia

Immer und immer wieder beschäftige ich mich dem Menschen Janusz Korczak, da er so eine unglaublich herzensgute Tat begangen hat. Wer von uns würde dies auf sich nehmen, nur um die anvertrauten Kinder nicht alleine zu lassen? Für mich ist Janusz Korczak einer der allergrößten Helden.

Keiner hätte es ihm verübelt, diese Kinder im Stich zu lassen. Aber er hatte für sich die Entscheidung getroffen, dass das Wohl der Kinder über seinem Wohl steht und dass er mit dem Wissen, dass er sie alleine gelassen hat, sowieso nicht weiterleben konnte.

Deshalb möchte ich hier noch ein Zitat von Janusz Korczak einfügen, das niemals in Vergessenheit geraten sollte:

Ihr sagt: Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.«

Ihr habt recht.

Ihr sagt:  »Denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen.

Hinuntersteigen, uns herabneigen, beugen, kleiner machen.«

Ihr irrt euch.

Nicht das ermüdet uns.

Sondern – dass wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen.

Emporklimmen, uns ausstrecken, auf die Zehenspitzen stellen, hinlangen.

Um nicht zu verletzen.“

Janusz Korczak (1878-1942)

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen einen besinnlichen Allerseelen-Tag. Vielleicht finden auch Sie jemanden, dem Sie heute besonders gedenken möchten.

Manou Gardner Medium

Bild von Barak Broitman auf Pixabay

2 Antworten zu „Allerseelen – die vergessenen Menschen ehren“

  1. Avatar von petrareibenwein

    Ich drücke den „gefällt mir“ Button, aber es „gefällt“ mir eigentlich nicht. Es macht mich betroffen, ich „ziehe den Hut“ vor so viel menschlicher Größe, vor so viel uneigennütziger Liebe.
    Wer von uns hätte das machen können???
    Danke auch für das Zitat. Es steckt so viel Wahrheit darin.

    1. Avatar von Manuela Pusker

      Dankeschön, liebe Petra 😍

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